Aufmerksamkeit - Wahrnehmung
(Eine indianische Weisheit)
Ein Indianer, der in einem Reservat weit von der nächsten
Stadt entfernt wohnte, besuchte das erste Mal seinen weißen Bruder in der
Großstadt.
Er war sehr verwirrt von dem vielen Lärm, von der Hektik und
vom Gestank in den Straßenschluchten. Als sie nun durch die Einkaufsstraße mit
den großen Schaufenstern spazierten, blieb der Indianer plötzlich stehen und
horchte auf.
„Was hast du“, fragte ihn sein Freund. „Ich höre irgendwo eine Grille zirpen“,
antwortete der Indianer.
„Das ist unmöglich“, lachte der Weiße. „Erstens gibt es hier
in der Stadt keine Grillen und zweitens würde ihr Geräusch in diesem Lärm
untergehen.“
Der Indianer ließ sich jedoch nicht beirren und folgte dem
Zirpen. Sie kamen zu einem älteren Haus dessen Wand ganz mit Efeu überwachsen
war. Er Indianer teilte die Blätter und tatsächlich: Da saß eine große Grille.
„Ihr Indianer habt eben einfach ein viel besseres Gehör“,
sagte der Weiße im Weitergehen. „Unsinn“, erwiderte der Freund vom Land. „Ich
werde dir das Gegenteil beweisen“. Er nahm eine kleine Münze aus seiner Tasche
und warf sie auf den Boden. Ein leises „PLING“ ließ sich vernehmen. Selbst
einige Passanten, die mehr als zehn Meter entfernt standen, drehten sich
augenblicklich um und schauten in die Richtung, aus der sie das Geräusch gehört
hatten.
„Siehst du mein Freund, es liegt nicht am Gehör. Was wir wahrnehmen
können oder nicht, liegt ausschließlich an der Richtung unserer
Aufmerksamkeit. Was du hörst, sagt mehr
darüber aus wie du denkst, als was dich umgibt.“
Kurzgeschichte von Heinrich Böll
Es war einmal in einem kleinen Fischerdorf irgendwo in Italien. Ein Tourist kam vorbei
und sah einen Mann, der seelenruhig am Hafenkai saß und aufs Meer blickte.
Der Tourist ging zu dem Mann und sagte: „Entschuldigung, ich
möchte Sie etwas fragen: Warum arbeiten Sie eigentlich nicht? Sie könnten sich
zum Beispiel ein Fischerboot kaufen und hinaus aufs Meer fahren.“
„Aber warum soll ich denn arbeiten?“ fragte der Mann. „Ich
habe alles, was ich brauche – genug zu leben und zufrieden bin ich auch.“
„Aber wenn Sie arbeiten würden, können Sie viel Geld
verdienen, das Geld sparen und es zinsbringend anlegen!“ sagte der Tourist.
„Warum“, fragte der Mann, „soll ich Geld verdienen und
sparen?“
„Wenn Sie gut verdienen, können Sie von den Zinsen leben und
dann brauchen Sie nicht mehr zu arbeiten“!
Der Mann schaute den Touristen an und schüttelte langsam den Kopf. Dann
ging sein Blick wieder hinauf auf das Meer.
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